Das Selbst-Verständnis [Theorie]

Viele Bücher, vor allem aber Selbsthilfebücher handeln vom Selbst. Wer oder was ist dieses Selbst? Gibt es überhaupt einen Kern hinter dem Selbst, der übrig bleibt, wenn man alle Masken abnimmt, wenn eine Person keine bestimmte (soziale) Rolle mehr spielt, sondern nur noch sie selbst ist?
Auch im Coachingbereich wird vom ‚Selbst‘ gesprochen. Im Fokus stehen dann die Selbstoptimierung und Analyse der persönlichen Stärken und Schwächen. In der Philosophie geht es eher um Selbstreflektion, in der Psychologie häufig um den Selbstwert, in der Soziologie hingegen um Selbstbestimmung. In spirituellen Kreisen wird versucht, das wahre und authentische Selbst, also den eigenen Kern zu finden.
Es gibt somit unterschiedliche Antworten auf diese klassische Frage, abhängig davon, welches (Fach-)Gebiet herangezogen wird.
Unter diesen Antworten finden sich kritische, realistische, pessimistische, idealistische, naturalistische und humoristische Auffassungen vom ‚Selbst‘.

Kritische Auffassung vom Selbst: Der Wirtschaftspsychologe
Kahneman erklärt in seinem Buch ‚Thinking, Fast and Slow‘, dass wir ein erlebendes und ein erinnerndes Selbst haben. Das erste Selbst lebt in der Gegenwart, also im unmittelbaren Moment. Das zweite schaut zurück und erzählt Geschichten, basierend auf den Erinnerungen. Es entscheidet letztendlich, ob wir eine Situation als positiv oder negativ einschätzen.
Wenn wir gelegentlich über das Glück nachdenken, scheinen wir gemäß Kahneman, diese beiden ‚Selves‘ oft zu verwechseln.
Wenn ich also viele Jahre zufrieden (in einer Firma) arbeite und in den letzten Monaten unzufrieden bin, wird die Erinnerung einen grauen Schleier über diesen Zeitraum legen. Er nennt dies ‚the tiranny of the remembering self‘.
Sein Fazit: Ich bin mein rückblickendes Selbst. Mein erlebendes Selbst, das das Leben für mich pflegt und betreut, ist wie ein Fremder für mich.

Realistische Auffassung vom Selbst: Die Soziologin
Brinkgreve meint in ihrem Buch ‚De ogen van de ander‘, dass am Anfang der Entwicklung des Selbstgefühls und Selbstwertes die Augen der anderen stehen. Das Selbst hat keinen eigenständigen Kern, sondern wird ständig gestaltet im Umgang mit anderen.

Einsehen, dass der andere einen prägt, heißt nicht, dass man mit diesem anderen verschmilzt; die Einsicht nimmt einem nur die Illusion, dass man völlig eigenständig das Skript seines Lebens schreiben kann.
Man erfährt seine Eigenheit und Beständigkeit erst durch den Blick des anderen. Die gleiche entfremdende Wirkung hat beispielsweise auch das Reisen. Man hört diesbezüglich oft, dass Menschen einen neuen Blickwinkel bekommen haben, eine Art Erweiterung und Vertiefung ihrer selbst.

Pessimistische Auffassung vom Selbst: Wer keine Lust hat, im ‚Hier und Jetzt‘ zu leben und lieber vor der Gegenwart flieht, kann „sich-selbst“ betäuben mit Alkohol oder Drogen, kann untertauchen in TV-Serien oder sich in seiner Arbeit vergraben. In diesen Momenten ist man wenigstens nicht mit „sich-selbst“ konfrontiert.
Arbeitssucht kann entstehen, wenn ein Großteil der Freizeit mit Arbeit gefüllt wird und die Arbeit zum alleinigen Lebensinhalt wird. Gefördert wird diese Situation, wenn persönliche Merkmale wie Perfektionismus, also ein nicht zielführendes Perfektionsstreben und Neurotizismus, also eine fehlende Resistenz hinzukommen.
Soziale Aspekte können auch Auswirkungen haben, nämlich wenn Leistung und Erfolg alleinige Voraussetzungen für Anerkennung sind.
Arbeitssucht wird oft erst als Störung erkannt, wenn körperliche Beschwerden entstehen, die Leistung abnimmt, Familie und Freunde vernachlässigt werden und schließlich die Lebensfreude insgesamt abnimmt.

Idealistische Auffassung vom Selbst: Im Jahr 1977, im Alter von 29, nach einer schweren Depression hatte der Autor und Mystiker Eckhart Tolle im ‚Jetzt‘ eine Erleuchtung, durch die er seine Identitätskrise überwand. Das Selbst als Träger von negativen Gedanken wurde abgeworfen und das Bewusstsein als Behälter von Gedanken befreit. Das Selbst, mit seiner Schwere, seinen Problemen, seiner ständigen Angst vor der Zukunft, war zusammengebrochen. Es hatte sich aufgelöst.
Was Tolle nach eigener Erfahrung geschafft hatte, war es, quasi über den Strom der Gedanken hinauszugehen, in das Reich der Stille. Als er dann am nächsten Morgen aufwachte, stellte er fest, dass es für ihn kein ‚Gedanken-Selbst‘ mehr gab, nur ein Gefühl der Präsenz und des Seins. Beim Spazieren spürte er ein Gefühl von Frieden in seiner Wahrnehmung der Dinge, auch in Dingen, die eher Hektik verbreiten wie der Verkehr.

Wie der antike Philosoph Epiktet stellte er fest, dass es nicht die Dinge sind, die einen beunruhigen, sondern unsere Meinung über die Dinge. In diesem Fall schaffte er es, seine erdrückenden Gedanken hinter sich zu lassen und von da an achtsam bzw.’mindfull‘ zu leben.
Sein Fazit:Wenn du den Kontakt mit deiner inneren Stille verlierst, so verlierst du den Kontakt mit dir selbst. Wenn du den Kontakt mit dir selbst verlierst, verlierst du dich selbst in der Welt.

Naturalistische Auffassung vom Selbst: Wie schon David Hume im 18. Jahrhundert schrieb der Philosoph Thomas Mentzinger in der Neuzeit in seinem ‚Essay Concerning Human Understanding‘, dass das Selbst nichts anderes sei, als eine Sammlung unterschiedlicher Wahrnehmungen.
Demnach gibt es kein einheitliches ‚Selbst‘. Aber weil unsere Wahrnehmungen irgendwie zusammenhängen, erfinden wir Hume zufolge Konzepte wie das ‚Ich‘ oder die ‚Seele‘.
Mentzinger, der im Gegensatz zu Hume aus der modernen Neurowissenschaft schöpfen kann, würde sagen, dass unser Selbst von unserem Gehirn erzeugt wird. Das ‚Selbst‘ oder ‚Ego‘ ist kein Männchen im Kopf, auch kein Ding, sondern ein Vorgang.
Er möchte den Personenstatus oder unser Selbstgefühl nicht zerstören oder wie Hume gänzlich anzweifeln, sondern weist auf die allgemeine Beschränktheit der Sinne hin. In seinem Buch ‚Egotunnel‘ (2011) erklärt er, dass der Inhalt unseres bewussten Erlebens ein inneres Konstrukt ist und dass Information außerdem sehr selektiv dargestellt wird:
Was wir sehen und hören oder ertasten und erfühlen, was wir riechen und schmecken, ist nur ein kleiner Bruchteil dessen, was tatsächlich in der Außenwelt existiert. Unser bewusstes Wirklichkeitsmodell ist eine niedrigdimensionale Projektion der unvorstellbar reicheren und gehaltvolleren physikalischen Wirklichkeit, die uns umgibt und uns trägt.

Humoristische Auffassung vom Selbst: Was ist das ‚Selbst‘ über die Zeit hinweg? In dem nachstehenden Beispiel geht der Komiker Epicharmus der Frage nach, ob die Personen wie der Schuldner und dessen Gläubiger noch dieselben mit gleichen Verantwortungsansprüchen sind, da sie ständigen Veränderungen unterworfen sind.
Ein Mann wird von seinem Gläubiger aufgefordert, seine Schulden zu bezahlen. Anstatt das verlangte Geld zu bezahlen, stellt der Mann seinem Gläubiger folgende Frage:
„Ist es nicht richtig, dass jeder Gegenstand, der ständigem Wandel unterworfen ist, niemals derselbe bleibt, sondern heute ein anderer als gestern und morgen ein anderer als heute ist? […] wie ein Haufen Steine, von dem man einen Stein wegnehme, nicht mehr der gleiche Haufen ist?“
Der Gläubiger stimmt ihm zu und räumt ein, dass dies auch auf die Menschen zutreffen müsste. Der Schuldner formuliert daraufhin die Konsequenz: Er sei heute nicht mehr derselbe Mensch wie derjenige, dem der Gläubiger das Geld gegeben hätte, folglich sei er ihm auch nichts schuldig.
Der Gläubiger holt daraufhin kräftig aus und schlägt seinen pedantischen Gegner. Der aber protestiert. Der Gläubiger antwortet ihm, dass Klagen umsonst sei. Er selbst sei jetzt bereits ein anderer als derjenige, der ihn kurz zuvor geschlagen habe.

Fazit.
Als Coach ist es wichtig, diese Perspektivenvielfalt zu berücksichtigen. Es gibt nicht die eine Auffassung der Wirklichkeit, genauso wenig wie sich die vielen Facetten vom ‚Selbst‘ vereinheitlichen lassen.
Ich möchte meinen Klienten die Möglichkeit bieten, sich mit meiner Unterstützung besser kennenzulernen, verborgenen Stärken zu begegnen und eine Selbstoptimierung zu erzielen. Dies ist dann gegeben, wenn die ‚Selbst-Verständlichkeit‘ vom Klienten in den Gesprächen erfahren wird.

Selbst-motivation [praxis] 3 Tipps

viele Menschen sind daran interessiert ihre stärken zu kennen, um die verborgene Talente zu entdecken. Im Fokus steht die Erreichung eines beständigen und leistungsstarken selbst
Dazu ist es nützlich zunächst den Unterschied zwischen extrinsische und intrinsische Motivation zu kennen.
Bei der von außen kommenden Motivation (extrinsisch) gibt es bewusste Absichten, die man hat, um ein Ziel zu erreichen. Hierbei geht es um Willenskraft und Disziplin. In Firmen wird dieser Anreiz beispielsweise über eine Belohnung in Form von Bonuszahlungen oder Aufstiegsaussichten gefördert. Im negativen Sinne kann aber auch ein unfähiger Chef oder eine langweilige Arbeit demotivierend wirken.
Bei der Motivation, die von innen heraus kommt – also intrinsische Motivation – entstehen Emotionen wie Begeisterung, Interesse oder Freude, die als treibende Kraft da sind, um Ziele umsetzen zu können. Es ermöglicht Kreativität.

Tipp 1) Finde heraus, was dich motiviert

Wenn man weiß, was in einem Begeisterung und Energie hervorruft, kann man sein Verhalten zielgerichteter einsetzen. Dafür ist es sinnvoll, seine Motivatoren zu entdecken:
z.B. Neugierde, soziale Zugehörigkeit, Macht, Anerkennung etc.
Im zweiten Schritt kann man dann der Frage nachgehen, ob diese Bedürfnisse momentan in den unterschiedlichen Lebensbereichen (Arbeit, Hobby, Partner, Familie) befriedigt werden.

Motivator: Neugierde → Bedürfnis nach Wissen
Motivator: soziale Zugehörigkeit → Bedürfnis nach Kontakten
Motivator: Macht → Bedürfnis, andere zu kontrollieren
Motivator: Anerkennung → Bedürfnis nach Bestätigung und Aufmerksamkeit

Beim Lifecoaching werden viele Motivatoren und Bedürfnisse individuell analysiert und mit prägenden Erfahrungen in Verbindung gebracht.

Tipp 2) Finde heraus, was dich demotiviert

Sachen, die demotivierend wirken, rauben Energie:
z.B Menschen, die viel Negatives äußern, Hektik, fehlende Anerkennung, verschwendete Zeit.
Demotivierendes kann durch Umstellungen in den verschiedenen Lebensbereichen reduziert werden. Möglich wäre hierbei, sich beispielsweise mit inspirierenden Menschen zu umgeben. Ein neues Hobby kann darauf ausgerichtet werden, ob man Ruhe sucht oder Anerkennung finden möchte. „Zeitfresser“ im Alltag wie unnötiges Surfen im Internet oder Shopping können eingeschränkt werden.

Notfalls kann man seine Werte und Ziele neu überdenken.

Wenn keine Motivation aufkommt, wenn uns etwas also emotional nicht berührt, kann es sein, dass nicht genug Willenskraft vorhanden ist. Das bedeutet, dass keine oder nicht genug Kraft da ist, um Ziele und Motive in Resultate umzusetzen.

Die Willenskraft ist laut neurologischen Studien irgendwann verbraucht und kann nur wiederhergestellt werden durch Abwechslung, Schlaf, Sport, Meditation etc.
Wenn keine Selbstmotivation oder kein Antrieb und keine Willenskraft vorhanden sind, kann es sinnvoll sein, etwas in der Routine, in den Gewohnheiten zu verändern.

Tipp 3) Analysiere/ verändere Gewohnheiten

Nicht zielführende Gewohnheit:
z.B. übermäßiges surfen: Facebook, News, etc.

Erster Ansatz
Man kann versuchen herauszufinden, woher dieses Bedürfnis kommt. Beruht es auf Zerstreuung, Langeweile? Dient es als Zeitvertreib oder Flucht vor der Einsamkeit oder ist es einfach die bequemste Art der Entspannung.
Laut Duhigg (the power of habit) wird eine Gewohnheit eingebettet zwischen einem Auslösereiz und einer Belohnung.
In diesem Fall kann diese Belohnung die Entspannung sein, die man spürt, während man surft.
Diese drei Bestandteile nennt Duhigg eine Gewohnheitsschleife, sie entsteht, um das Gehirn zu entlasten. Ist eine Gewohnheit einmal eingeführt, kann das Gehirn aufhören, sich intensiv mit Entscheidungen zu beschäftigen, der Fokus kann auf was anderes gerichtet werden.
Ein Auslösereiz kann in eine von den folgenden fünf Kategorien fallen:
Standort: zu Hause am Computer/ Smartphone
Uhrzeit: nach der Arbeit
emotionaler/körperlicher Zustand: Langeweile, Einsamkeit, Erschöpfung
andere Menschen: keine
unmittelbar vorangehende Handlung: Heimreise

Durch genaue Buchführung kann man herausfinden, wann und weshalb die übermäßige Surfgewohnheit entstanden ist. Vielleicht nimmt das Surfen ja ab, wenn Besuch da ist oder wenn statt des Smartphones ein interessantes Buch (neuer Auslösereiz) bereit liegt.
Vielleicht kann man auch auf eine Erfahrung aus der Vergangenheit zurückgreifen, auf etwas, das sich früher einmal hat als Mittel zur Entspannung bewährt hat (z.B. Sport allein oder gemeinsam).  Auch funktionieren manchmal Bilder, die emotionell berühren. Eine positive Zukunftserwartung kann kreiert werden, indem man positive innere Bilder erzeugt und sich so dem gewünschten Ziel nähert. (siehe Tipp 1)
Sobald die Auslöser gefunden wurden, kann man nach einem Ersatz für die Gewohnheit suchen. Erfahrungsgemäß ist es hierbei sinnvoll, eine Liste anzufertigen mit Sachen, die Entspannung hervorrufen oder die es ermöglichen, die Einsamkeit sinnvoll zu bekämpfen. Wichtig ist es, kreativ zu sein und auch einmal ungewöhnliche Dinge wie eine neue Sportart, ein neues Hobby, eine besondere Entspannungstechnik, einen Kurs oder eine Weiterbildung auszuprobieren. Wenn dann der richtige Ersatz für das Surf-Verlangen gefunden wird, kann eine neue Gewohnheitsschleife eingeführt werden und im Alltag greifen.

Zweiter Ansatz
Man kann aber auch den Auslösereiz und die Belohnung beibehalten. Dann kann man, statt News und Facebookinhalte zu konsumieren, z.B auf dem Smartphone Musik (zur Entspannung) hören oder interessante Apps laden. Eine App zum Selbstbereiten von essen kann z.B. die Gewohnheit Fastfood zu essen (am Rechner) ersetzen.
Auch so verändert sich also die Gewohnheitsschleife, nur dass in diesem Fall zwei von drei Bestandteilen der Motivationsschleife aufrecht erhalten bleiben.
Auch sachlich lässt sich eine Reduzierung der Surf-Gewohnheiten begründen:
Auf Facebook möchte man von anderen gemocht und anerkannt werden. Das Belohnungszentrum im Gehirn scheint soziale Anerkennung sehr zu schätzen. Es gibt daneben aber genug andere Wege, sozial anerkannt zu sein.
News sind häufig negativ, irrelevant und helfen nicht dabei, bessere Entscheidungen zu treffen und schon gar nicht, zielführender zu leben.
Allerdings bleibt das Problem bestehen, dass der Bauch, obwohl der Kopf die sachlichen Argumente (extrinsische Motivation) vorbringt, weiterhin sagt: Ich will ungehemmt surfen und die Zeit vergessen (intrinsische Motivation).

Dritter Ansatz
Um sowohl Kopf als auch Bauch entgegenzukommen, kann man auch weniger radikal vorgehen, indem man zuerst sinnvollere (Kopf-)Sachen erledigt und sich dann mit einer (zeitlich festgelegten) Surfzeit belohnt und so seinen Gefühlen nachgibt.
Wichtig ist es vor allem, dass man viel experimentiert. Wenn ein neuer Ablauf (angelegt auf vier bis sechs Wochen) ausprobiert und umgesetzt wird, kann er zur Routine werden. Dann ist keine Willenskraft mehr notwendig. Die neue Gewohnheit ist Teil des täglichen Ablaufs geworden.

Selbsttest: Bin ich surfsuchtig?