Sandra ist sich sicher, dass sie Hilfe braucht, um ihren Alltag zufriedenstellend gestalten zu können. Ob eine Psychotherapie notwendig ist? Bisher hat sie immer alles prima hinbekommen, aber in letzter Zeit fühlt sie sich nicht mehr so entscheidungsfreudig. Dabei ist sie früher sehr Selbst-bestimmt und meist froh und zufrieden gewesen.
Life Coaching oder Psychotherapie?
Anstatt die Dinge anzupacken, lässt sie nun vieles liegen. Ihre Wohnung ist ziemlich unordentlich, sie macht kaum noch Sport und Freunde trifft sie auch nicht mehr so oft. Ihre beste Freundin macht sich bereits Sorgen und hat sich schon im Internet belesen. Sie meint, Sandra müsse unbedingt etwas unternehmen, denn sie hat sich stark verändert. Ob eine Psychotherapie das Richtige wäre? Oder vielleicht ein Life Coaching? Sandras Hausärztin, zu der Sandra einen sehr guten Draht hat, glaubt, dass beide Optionen nicht verkehrt seien. Sie will Sandra die Entscheidung nicht abnehmen und rät ihr, intuitiv zu entscheiden.
soziale Vergleiche
Sandra war bereits einmal in Therapie, vor 15 Jahren, als sie unter einer mittelschweren Depression litt. Davor hatte sie 70 Stunden pro Woche gearbeitet, ihre Ehe war zerbrochen und sie litt unter Schlafproblemen. Inzwischen hatte sie ihr Arbeitspensum im Griff, Schlafprobleme hatte sie auch nicht mehr. Wenn sie sich jedoch mit ihrer Umgebung verglich, sah sie glückliche Paare, teilweise mit Kindern. Sie selbst lebte schon viel zu lange allein, hatte nur ihren Hund.
Entscheidung gegen Psychotherapie
Was sollte sie also unternehmen? Gegen eine Therapie sprach, dass sie keine Lust mehr hatte, über ihre Kindheit zu sprechen. Außerdem hatte der Therapeut sie damals einmal als Messi bezeichnet, was sie ihm heute noch übel nahm. Gegen eine kognitive Verhaltenstherapie sprach, dass ihr dass Ganze nicht konkret genug erschien und dass die Wartezeiten viel zu lange waren. So entscheidet sie sich zusammen mit ihrer Freundin für das Life Coaching.
Inhalt
Text: Life Coaching oder Psychotherapie?
1. Hilfestellung durch den Life Coach
2. Themen und Methoden im Life Coaching
3. Themen und Methoden in der Psychotherapie
4. Life Coaching und Psychotherapie – geht das?
5. Philosophie: Lebenskunst oder Lebensbewältigung
6. Für einem Life Coaching sprechen 5 Gründe
7. Life Coaching oder Psychotherapie? Ein Orientierungstest
1. Hilfestellung durch den Life Coach
Dating Thema
Sandra weiß selbst schon ziemlich genau, an welchen Themen sie arbeiten möchte, so dass wir von Anfang an sehr gezielt vorgehen können. Dennoch tun sich später, wie so oft noch weitere Themenfelder auf. Es stellt sich bald heraus, dass das Beziehungsthema mitverantwortlich ist für Sandras Stimmung, für ihre negativen Emotionen. Sie ist in mehreren Dating-Portalen unterwegs, hat sich allerdings bis jetzt noch mit niemandem getroffen. Sie hat einfach zu viel Angst für Flirtversuche und ist verzweifelt.
erhöhte Ansprüche
Außerdem sind ihre Ansprüche an sich selber, aber auch an die Männer, die sie interessieren, so hoch, dass ein Treffen alles andere als aussichtsreich erscheint. Sie ist selbst überrascht von ihren perfektionistischen Ansprüchen. Sie empfindet deswegen eine Art Scham, weshalb sie nicht einmal ihrer besten Freundin davon erzählt.
soziale Kontakte
Schon nach zwei Sessions ist klar, dass Sandra erst einmal an sich arbeiten möchte und dass sie das ganze Beziehungsthema viel zu ernst genommen hat. Wenn sie in Ruhe darüber nachdenkt, stellt sie fest, dass sie eigentlich ganz zufrieden mit ihrer jetzigen Situation ist. Was ihr fehlt, sind vor allem gute Gespräche mit Freunden. Stattdessen hat sie sich wochenlang nur mit dem Thema Dating beschäftigt und alles andere dadurch vernachlässigt.
angenehmer Alltag
Ihre beste Freundin erklärt ihr sogar, dass sie Sandra immer beneidet hat, weil sie so viele Freiheiten hat und nicht so fremdbestimmt ist durch das Familienleben. Sandra hatte nur die harmonischen Momente im Leben ihrer Freundin gesehen und das Familienleben stark idealisiert. Ab Session 3 können wir dann doch noch gezielter vorgehen. Sandra setzt praktische Übungen um, die ich ihr mit nach Hause gebe. Nach einigen Wochen fängt Sandra wieder damit an, eine angenehme Routine im Alltag zu leben, und fühlt sich nach und nach wohler. Die Kommunikation mit ihren Kollegen ist auch wieder zielführender und positiver.
2. Themen und Methoden im Life Coaching
Hilfe zur Selbsthilfe
Ein Life Coach ist ein professioneller Begleiter, wenn es um wichtige Entscheidungen im Leben geht. Im Idealfall kann er auf eine Vielzahl von Methoden zurückgreifen, ist aber, was ihre Anwendung angeht, eher zurückhaltend. Generell gilt für das Life Coaching, dass externe Ratschläge und der Einsatz zu vieler Methoden eher fremdbestimmen. Im Grunde ist ein Coaching so etwas wie professionelle Hilfe zur Selbsthilfe.
Zentrale Themen
Die geeigneten Methoden hängen stark vom jeweiligen Thema ab. Zentrale Themen sind oft Berufswechsel, Umgang mit Konflikten oder Sinnfragen. Hinter diesen Themenkomplexen stecken oft Probleme aufgrund fehlender Anerkennung durch Vorgesetzte, aufgrund des Fehlens von wertschätzender Kommunikation oder aufgrund von Fremdbestimmtheit.
Vorgehensweise
Beim Life Coaching liegt der Fokus auf dem Gespräch, um die genaue Problemlage verstehen zu können. Häufig liegen unter den offensichtlichen Problemen andere Anliegen verborgen. Dann wird der Fokus erweitert und rückt z.B. vom Arbeitsleben auch auf private Lebensbereiche.
So kann es vorkommen, dass gleich zwei Themenbereiche behandelt werden. Manchmal empfehle ich zuerst beispielsweise ein Kommunikations-Coaching, wenn jemand souveräner und schlagfertiger werden will. Wenn ich dann jedoch feststelle, dass der Betreffende kein realistisches Selbstbild hat, orientierungslos ist und über einen eher niedrigen Selbstwert verfügt, empfehle ich als Ergänzung ein Resilienz-Coaching, dass dabei helfen soll, Selbst-bestimmter durchs Leben zu gehen und sich nicht auf seinen inneren Kritiker zu verlassen.
3. Themen und Methoden in der Psychotherapie
Psychotherapie: Handbuch der „DSM-V“
Der Psychotherapeut therapiert nach Vorgaben, die im Handbuch der „DSM-V“ beschrieben sind. Dieses Handbuch wird benutzt um psychische Störungen einordnen zu können.
So wird zum Beispiel das Messi-Syndrom in der fünften Ausgabe mittlerweile als eigene Krankheit geführt. Was von den Psychologen als gesund oder krank eingestuft wird, ändert sich im Laufe der Zeit. Die Frage was „normales“ Verhalten ist und was nicht, ist also nicht mal unter Psychologen geklärt.
Vorgehensweise in der Psychotherapie
Bei ihre Vorgehensweise sind Psychotherapeuten stark vergangenheitsorientiert. Sie versuchen herauszufinden, woher das Leiden, zum Beispiel eine Angststörung oder eine Depression, kommt. Daraufhin empfehlen sie häufig eine Gesprächstherapie oder, wenn zum Beispiel eine schwere Depression vorliegt, sogar einen stationären Aufenthalt in einer Klinik.
Grenzgebiet: Depression oder „nur “Burnout?
Wie stelle ich als Life Coach fest, ob jemand womöglich doch eine Psychotherapie braucht? Es gibt geeignete Tests, die mir als Life Coach verraten, ob jemand depressiv ist und deswegen eine psychotherapeutische Behandlung braucht oder ob derjenige (nur) ein Burnout hat.
Dieses lässt sich nämlich in vielen Fällen durch Life-Coaching-Methoden in den Griff bekommen.
4. Life Coaching und Psychotherapie – geht das?
Es kommt durchaus vor, dass Kunden gerade eine Psychotherapie machen, aber für den Alltag noch einige praktische Tools brauchen. Daher besuchen sie zugleich einen Life Coach. In der Psychotherapie geht es erst einmal nur darum, den Alltag überhaupt zu bewältigen. Sie ist eher defizitorientiert.
Das Life Coaching ist dagegen zukunfts- und ressourcenorientiert, es ist darauf ausgerichtet, Entwicklungsmöglichkeiten zu entfalten. Werte und Ziele sollen erfasst und erreicht werden, damit man freier und selbstbestimmter wird.
Das gelingt unter anderem durch Selbst- und Fremdreflektion – also durch das Feedback des Life Coaches.
5. Philosophie: Lebenskunst oder Lebensbewältigung
Der Keim dieser positiven Psychologie lag in der Philosophie. Deswegen ist es beim Life Coaching wichtig , dass dieser Bezug hergestellt wird. Bei Aristoteles, aber auch bei den Epikuristen und den Stoikern wird das Thema Zufriedenheit oder Glück theoretisch und sogar praktisch behandelt.
Es gibt also praktische Übungen, die jetzt Anwendung finden, im Coaching aber auch in der Psychologie. Zum Beispiel geht es darum, das Leben auf bestimmte (hedonistische) Ziele auszurichten (Epikur), achtsam zu leben, aber auch Ärger und Wut im Zaum zu halten (Stoa) und sich in der Frage nach Anerkennung nicht fremdbestimmen zu lassen (Aristoteles).
Lebenskunst: Das Leben bewältigen?
Nach Wilhelm Schmidt ist Lebenskunst zugleich Lebensbewältigung, was bedeutet, dass weniger das schöne (hedonistische) Leben im Zentrum steht. Das Leben hat Höhen und Tiefen und es ist völlig in Ordnung, nicht immer auf der Glückswelle zu schwimmen, sondern hin und wieder mit sich zu hadern.
Die Lebenskunst besteht nach Schmidt zum großen Teil aus dem Bewältigen von Schwierigkeiten. Diese Schwierigkeiten kann jeder mit Hilfe eines Life Coaches in den Griff bekommen.
6. Psychotherapie? 5 Gründe, die eher für Life Coaching sprechen
Die Grenzen von Psychotherapie und Coaching
Die Grenze zwischen Psychotherapie und Life Coaching kann manchmal verschwommen sein, da beide Disziplinen auf die Unterstützung und Verbesserung des individuellen Wohlbefindens abzielen. Dennoch gibt es klare Unterschiede, die die Wahl zwischen den beiden Optionen beeinflussen können.
Alltag souverän meistern
Psychotherapie konzentriert sich auf die Behandlung von psychischen Störungen und tief verwurzelten emotionalen Problemen, während Life Coaching auf persönliches Wachstum, berufliche Weiterentwicklung und die souveräne Meisterung des Alltags abzielt.
Hier sind fünf Gründe, die eher für Life Coaching sprechen:
1. Präventive Maßnahmen und persönliches Wachstum:
Life Coaching ist eine großartige Option für empathische Menschen wie Sandra, die sich in einer Phase der Unzufriedenheit oder Stagnation befinden, jedoch keine schwerwiegenden psychischen Erkrankungen aufweisen. Es ermöglicht präventive Maßnahmen zur Steigerung des persönlichen Wachstums und der Lebensqualität. Besonders hochsensible Personen profitieren davon.
2. Fokussierung auf konkrete Ziele:
Life Coaches arbeiten in der Regel mit ihren Klienten daran, klare und erreichbare Ziele zu setzen und Strategien zu entwickeln, um sie zu erreichen. Dieser Fokus auf konkrete Ziele kann besonders hilfreich sein, um die Entscheidungsfreudigkeit und das Engagement für positive Veränderungen zu steigern.
3. Flexibilität und zeitnahe Unterstützung:
Im Vergleich zur oft langwierigen Suche nach einem Therapeuten und den Wartezeiten für einen Termin bietet Life Coaching oft zeitnahe und selbst-bestimmte Unterstützung sowie Flexibilität in Bezug auf Sitzungstermine und -orte.
4. Ressourcenorientierung:
Life Coaches legen einen starken Schwerpunkt auf die Identifizierung und Nutzung der vorhandenen Ressourcen und Stärken ihrer Klienten. Dies kann dazu beitragen, dass Menschen wie Sandra ihr Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein stärken.
5. Alltagsbewältigung und Lebenskunst:
Life Coaching kann Menschen dabei unterstützen, den Alltag besser zu bewältigen, Lebensziele zu setzen und Lebenskunst zu entwickeln. Dies ist besonders relevant für Menschen, die sich in einzelnen Lebensbereichen herausgefordert fühlen, aber keine schweren psychischen Störungen aufweisen.
7. Life Coaching oder Psychotherapie? Ein Orientierungstest
Hinweis:
Dieser Test bietet lediglich eine grobe Orientierung und ersetzt keine professionelle Beratung. Bei schweren psychischen Problemen konsultiere bitte einen Fachmann. Wenn du unsicher bist, sprich mit einem Fachmann oder einer Fachfrau.
Orientierungshilfe
Dein Gemütszustand und deine Lebensqualität können sich im Laufe der Zeit ändern, und es ist normal, in verschiedenen Lebensphasen Unterstützung zu suchen. Dieser Test soll dir helfen, eine grobe Vorstellung davon zu bekommen, ob Life Coaching oder Psychotherapie eher zu deiner aktuellen Situation passt. Denke daran, dass dieser Test nicht wissenschaftlich validiert ist, sondern lediglich eine Orientierungshilfe darstellt.
Test
Frage 1: Wie würdest du deinen aktuellen Gemütszustand beschreiben?
a) Ich fühle mich oft unzufrieden, niedergeschlagen oder ängstlich.
b) Ich fühle mich gelegentlich unzufrieden, aber meine Stimmung schwankt.
Frage 2: Hast du in der letzten Zeit anhaltende Schlafprobleme oder Appetitveränderungen bemerkt?
a) Ja, ich habe in der letzten Zeit schwerwiegende Schlafprobleme und/oder starke Appetitveränderungen.
b) Nein, meine Schlaf- und Essgewohnheiten sind weitgehend stabil.
Frage 3: Hast du Schwierigkeiten, dich auf alltägliche Aufgaben zu konzentrieren oder diese zu bewältigen?
a) Ja, ich finde es schwer, mich auf alltägliche Aufgaben zu konzentrieren oder sie zu bewältigen.
b) Nein, ich kann alltägliche Aufgaben in der Regel gut bewältigen.
Frage 4: Hast du das Gefühl, dass schwerwiegende Ereignisse in deiner Vergangenheit oder aktuelle Lebensumstände deine Stimmung stark beeinflussen?
a) Ja, ich glaube, dass belastende Ereignisse in meiner Vergangenheit oder meine aktuellen Lebensumstände meine Stimmung erheblich beeinflussen.
b) Nein, ich fühle mich zwar manchmal gestresst, aber keine bestimmten Ereignisse scheinen meine Stimmung stark zu beeinflussen.
Frage 5: Hast du konkrete Ziele oder Veränderungen, die du in deinem Leben erreichen möchtest?
a) Ja, ich habe klare Ziele und bin motiviert, daran zu arbeiten.
b) Ich bin mir nicht sicher, welche Ziele ich erreichen möchte oder habe keine klaren Vorstellungen davon.
Auflösung:
Wenn du vorwiegend a) Antworten gegeben hast, könnte eine Psychotherapie in Erwägung gezogen werden, insbesondere wenn du unter schweren psychischen Problemen leidest. Es könnte hilfreich sein, mit einem Fachmann oder einer Fachfrau zu sprechen, um Unterstützung zu erhalten.
Wenn du vorwiegend b) Antworten gegeben hast, könnte Life Coaching eine geeignete Option sein, insbesondere wenn du deine Lebensqualität steigern, klare Ziele setzen und Lebenskunst entwickeln möchtest. Ein Life Coach kann dir bei der Selbstreflexion und Ressourcenaktivierung helfen.
Denke daran, dass diese Ergebnisse nur eine grobe Orientierung bieten. Beide Ansätze können auch in Kombination genutzt werden, je nach deinen individuellen Bedürfnissen. Wichtig ist, dass du die Unterstützung findest, die am besten zu deiner Situation passt.
© Timo ten Barge [08.04.2019]
lieber Timo,
herzlichen Dank!
Dieser Beitrag ist wirklich sehr hilfreich:-)
Viele Grüße,
Olga
Hallo Olga,
super das es dir gefallen hat!
Schöne Grüße,
Timo
Hi Timo,
dein Blog gefällt mir sehr. Ich habe eine Freundin, die auch genau diese Entscheidung, Life Coaching oder Psychotherapie treffen muss.
Es ist auch sehr interessant was du über positive Psychologie schreibst. Gibt es denn auch sowas wie eine negative Psychologie? Bin gespannt auf deine Antwort!
Liebe Grüße,
Rikki
Hallo Rikki,
danke, freut mich dass es dir gefallen hat!
Die positive Psychologie steht nicht einer sogenannten negativen Psychologie, was dann wohl die klinische Psychologie wäre, entgegen.
Mit dem Wort „positiv“ ist auch keine Wertung gemeint, sondern die ursprüngliche Bedeutung des Wortes (lateinisch: positum = das Tatsächliche).
Worum es vielmehr geht, ist, dass Gesundheit mehr ist als die Abwesenheit von Krankheit. Gesundheit hat viel mit Wohlbefinden zu tun. Die (positiven) Psychologen um Barbara Fredrickson nennen das Aufblühen (florishing) als Gegenteil von Verkümmern (languishing).
Ich hoffe du kannst was mit dieser Antwort anfangen:)
Viele Grüße,
Timo
Hi Timo,
Danke für deine Antwort. Sie ist sehr informativ, hilfreich und interessant!
Schreibst du zu dem Thema auch mal einen Blog?
Servus Rikki
Hallo Rikki,
zum Thema positive Psychologie werde ich immer wieder was schreiben und zum Thema Florishing bestimmt auch.
beste Grüße,
Timo