„Wir schreiben Geschichten, wie man Kleider anprobiert.“ Dieses Zitat von Max Frisch, zum Thema Storytelling, verdeutlicht die Art und Weise, wie wir unsere Lebenserfahrungen formen und verarbeiten.
Was bedeutet Storytelling für unser Leben? Und welche wissenschaftlichen Erkenntnisse stützen diese Bedeutung?
Inhalt
1. Warum brauche ich Storytelling Qualitäten?
2. Die Anthropologie des Storytellings
3. Die Philosophie des Storytellings
4. Die Wissenschaft hinter dem Storytelling
5. Deine Storytelling Skills verbessern
6. Storytelling-Fähigkeitstest
7. Fazit Storytelling
1. Warum brauche ich Storytelling Qualitäten?
Der Story Bias besagt, dass wir Informationen besser verstehen, behalten und in uns aufnehmen, wenn sie in Form von Geschichten präsentiert werden. Das passiert nicht nur aus logischen, argumentativen Gründen, sondern auch, weil wir alle danach streben, unserem Leben Sinn zu verleihen. Geschichten helfen uns dabei, Bedeutung zu finden und unsere persönlichen Erfahrungen in einen größeren Zusammenhang zu stellen.
Die Kunst, mit Begeisterung zu erzählen und seine rhetorischen Fähigkeiten einzusetzen, kann in verschiedenen Lebensbereichen eine entscheidende Rolle spielen. Hier sind einige Beispiele, wie Storytelling in verschiedenen Situationen zum Einsatz kommen kann:
Im Beruf
Im Job kann Storytelling dazu beitragen, komplexe Ideen verständlicher zu machen und die Motivation der Mitarbeiter oder Kunden zu steigern.
Beispiel: Ein leitender Angestellter kann eine inspirierende Geschichte darüber erzählen, wie das Unternehmen Herausforderungen gemeistert hat, um das Team zu motivieren und die Verbundenheit zur Firma zu stärken.
Unter Freunden
Bei lockeren Gesprächen mit Freunden kann Storytelling genutzt werden, um Erlebnisse zu teilen, die Freundschaft zu vertiefen und gemeinsame Erinnerungen zu schaffen.
Beispiel: Beim Treffen mit Freunden kann jemand eine witzige Anekdote von einem gemeinsamen Abenteuer erzählen, um für eine euphorische Stimmung und eine ansteckende Freude zu sorgen.
Im Dating-Kontext
Beim Dating kann Storytelling genutzt werden, um sich besser kennenzulernen, Gemeinsamkeiten zu entdecken und eine tiefere Verbindung herzustellen.
Beispiel: Bei einem ersten Date kann man geschickt eine Geschichte über eine persönliche Leidenschaft erzählen, um Interessen und Werte zu teilen und dabei gleichzeitig einen charmanten Flirtversuch zu starten.
Für mich
In gewisser Weise betrachtet jeder sich selbst als den Autor seiner eigenen Lebensgeschichte, und diese Geschichten sind der Schlüssel zu seiner Identität.
Beispiel: Die Leidenschaft fürs Reisen zeigt sich darin, dass jemand, der von seinen Abenteuern in fernen Ländern erzählt, sich daran erinnert, wie er als Person gewachsen ist. Diese Geschichten von den Reisen erzählen nicht nur von den besuchten Orten, sondern auch von den Abenteuern, die erlebt wurden, und den Menschen, denen man begegnet ist, auf dem Weg zu den persönlichen Lebenszielen.
2. Die Anthropologie des Storytellings
Lagerfeuer & Soziale Bindungen
Die Anthropologin Polly Wiessner hat in afrikanischen Gemeinschaften Studien durchgeführt und herausgefunden, dass Geschichten erzählen etwas ist, das in jeder Kultur fest verankert ist. Sie argumentiert, dass Lagerfeuer unseren Vorfahren halfen, ihre geistigen Fähigkeiten zu erweitern und soziale Bindungen zu stärken.
Der Zauber des Feuers
Geschichten, die im Feuerschein erzählt wurden, schufen eine emotionale Verbundenheit zwischen den Zuhörern und förderten Verständnis, Vertrauen und Mitgefühl. Dieses soziale Phänomen besteht bis heute, wenn wir Feuerstellen, Kerzen und Kamine in unseren Häusern nutzen.
Geschichtenerzählen als Kulturerbe
In ihren Forschungen wurde klar, dass Geschichten nicht nur zum Spaß erzählt werden, sondern auch, um Wissen weiterzugeben, die Gemeinschaft zu stärken und unsere Werte zu bewahren. Diese Erkenntnisse zeigen, wie tief verwurzelt das Geschichtenerzählen in unserer kulturellen Entwicklung ist.
3. Die Philosophie des Storytellings
Das Leben als Abenteuer
Wir streben danach, dass unser Leben eine fesselnde Reise ist. Warum sich mit einer monotonen Routine zufriedengeben, wenn wir die Chance haben, unser Leben zu einem atemberaubenden Abenteuer zu formen?
Die Illusion des Abenteuers
In ihrem Buch „Abenteuer Existieren Nicht“ decken die Philosophen Gusman und Kleinherenbrink die Illusion auf, der wir erliegen, wenn wir nach Abenteuern streben.
In ihren Analysen entlarven sie unser Verlangen nach Abenteuern als Selbsttäuschung und bringen dies prägnant auf den Punkt, indem sie feststellen: „Die Welt hat nun einmal nicht dieselbe Struktur wie die Geschichten, in denen wir über sie berichten.“ Ihre Schlussfolgerung lautet, dass das Streben nach einem fesselnden, abenteuerlichen Leben letztendlich in unermesslicher Enttäuschung endet.
Die Rückkehr zur Realität: Abenteuer oder Alltag?
Obwohl Abenteuer in unserem Leben eine bedeutende Rolle spielen, möglicherweise stärker bei einigen als bei anderen, beruht die Vorstellung, das Leben als Abenteuer zu betrachten, auf einem fehlerhaften Denkansatz. Wir neigen dazu zu glauben, dass, wenn wir jetzt A erleben, B und C zwangsläufig folgen werden, gemäß dieser abenteuerlichen Denkweise.
Abenteuer sind keine inhärente Struktur der Realität oder des menschlichen Lebens; sie werden erst im Nachhinein darauf projiziert. Kierkegaard drückt es in einfacheren Worten aus: Das Leben wird nur vorwärts gelebt, und erst im Nachhinein verstehen wir es.
Romantik als Opfer für die Freiheit
Abenteuer ohne Romantik
Ist ein Leben ohne Abenteuer und ohne Romantik nicht sehr leer und bedeutungslos? Schließlich suchen unzählige Menschen, nicht nur in Filmen, nach ihrem Traumprinzen oder ihrer Traumfrau. Wir alle warten darauf, dass beim Flirten der Funke überspringt und die Liebe unser Herz erobert.
das Leben als Abenteuer
Aber kann man solche romantischen Ideale wirklich durch ein festes Skript erreichen? Das könnte tatsächlich bedeuten, das Leben als ein Abenteuer zu betrachten. Doch wenn diese romantische Begegnung vorausbestimmt ist, was bedeutet das dann für unsere Freiheit? Möglicherweise ist unsere Abhängigkeit von Abenteuern eine Strategie, um die Unvorhersehbarkeit der Welt nicht wahrhaben zu müssen.
Freiheit
In Wirklichkeit schafft gerade die Abwesenheit eines solchen Skripts Freiheit und eröffnet uns die Welt mit romantischen Abenteuern, die von überraschenden und unvorhersehbaren Begegnungen geprägt sind. Gerade das zufällige und unverfügbare macht den eigentlichen Reiz aus.
4. Die Wissenschaft hinter dem Storytelling
Empathie
Psychologen wie Paul J. Zak haben die neurologischen Auswirkungen des Geschichten-Erzählens untersucht. In seinen Studien fand Zak heraus, dass das Hören von Geschichten das Gehirn zur Freisetzung von Oxytocin, einem Hormon, anregt, das soziale Bindungen und Empathie fördert. Diese Erkenntnisse unterstützen die Idee, dass Geschichten eine tiefgreifende Wirkung auf unsere Gehirnaktivität und unser Verhalten haben.
„The Science of Storytelling“ von Will Storr untersucht die Psychologie des Geschichtenerzählens und wie wir bessere Geschichten schaffen können. Drei wichtige Ideen aus dem Buch sind:
Menschliche Natur und Geschichten
Unsere Realität wird durch die Geschichten geprägt, die unser Gehirn uns erzählt. Es sucht nach kausalen Zusammenhängen oder Muster, auch wenn sie nicht wirklich existieren
Beispiel: Der „Mann im Mond“ ist das Phänomen, bei dem Menschen Gesichter auf der Mondoberfläche zu erkennen glauben. Dies beruht auf Pareidolie, bei der Gesichter in zufälligen Mustern erkannt werden.
Charakterfehler in Geschichten
Geschichten, die Menschen mit Fehlern und Schwächen zeigen, ziehen uns an.
Beispiel: Harry Potter hat den Mangel an einer normalen Familie und erlebt das Gefühl des Andersseins. Diese Schwächen verleihen seiner Figur Tiefe und ermöglichen es den Lesern, sich mit ihm zu identifizieren.
Veränderung des Status in Geschichten
Menschen sind fasziniert von Statusveränderungen, sie spornen uns an, uns in die Geschichten anderer hineinzuversetzen.
Beispiel: „Breaking Bad“ (Fernsehserie): Die Hauptfigur Walter White beginnt als einfacher Chemielehrer und entwickelt sich im Laufe der Serie zu einem gefürchteten Drogenbaron. Die Veränderung seines Status und Charakters ist zentral für die Geschichte.
5. Deine Storytelling Skills verbessern
Im Zeitalter des Storytellings wird die Fähigkeit, Geschichten zu erzählen, zu einer wertvollen Kompetenz. In einem früheren Blogbeitrag mit dem Titel „Storytelling – Welche Kraft in Geschichten steckt – 10 Tipps“ wurde schon klar, wie Geschichten Menschen in ihren Bann ziehen können.
In dem untenstehenden Storytelling-Fähigkeitstest kannst du deine Stärken identifizieren und auch die Bereiche erkennen, die noch verbessert werden könnten. Basierend auf deinem Testergebnis erhältst du wertvolle Einblicke, die dir helfen, gezielte Schritte zur Perfektionierung deiner Storytelling Skills zu unternehmen.
6. Storytelling-Fähigkeitstest
Hinweis: Dieser Test dient dazu, deine Fähigkeiten im Bereich des Storytellings zu bewerten. Bitte beantworte die folgenden Fragen nach bestem Wissen und Gewissen. Es gibt keine „richtigen“ oder „falschen“ Antworten.
Bitte bewerte jede Aussage auf einer Skala von 1 (stimme überhaupt nicht zu) bis 5 (stimme vollkommen zu).
Frage 1: Wenn du eine Geschichte erzählst, schaffst du es in der Regel, die Aufmerksamkeit und Anerkennung deines Publikums zu erlangen.
(stimme überhaupt nicht zu) – 2 (stimme nicht zu) – 3 (neutral) – 4 (stimme zu) – 5 (stimme vollkommen zu)
Frage 2: Du kannst Emotionen in deinen Geschichten kommunikativ gekonnt vermitteln (Pathos) und fühlst dich wohl dabei, tiefe Gefühle auszudrücken.
(stimme überhaupt nicht zu) – 2 (stimme nicht zu) – 3 (neutral) – 4 (stimme zu) – 5 (stimme vollkommen zu)
Frage 3: Du verfügst über die Fähigkeit, komplexe Informationen in Geschichten zu integrieren und sie verständlich zu präsentieren, was Ethos (Glaubwürdigkeit) fördert.(stimme überhaupt nicht zu) – 2 (stimme nicht zu) – 3 (neutral) – 4 (stimme zu) – 5 (stimme vollkommen zu)
Frage 4: Wenn du Geschichten erzählst, gelingt es dir, die Botschaft oder Moral der Geschichte klar und authentisch zu vermitteln.
(stimme überhaupt nicht zu) – 2 (stimme nicht zu) – 3 (neutral) – 4 (stimme zu) – 5 (stimme vollkommen zu)
Frage 5: Du bist in der Lage, verschiedene Erzähltechniken wie Dialoge, Beschreibungen und Metaphern geschickt und schlagfertig einzusetzen.
(stimme überhaupt nicht zu) – 2 (stimme nicht zu) – 3 (neutral) – 4 (stimme zu) – 5 (stimme vollkommen zu)
Frage 6: Wenn du eine Geschichte erzählst, schaffst du es, eine starke Verbindung zu deinem (hochsensiblen) Publikum herzustellen, sodass sie sich in die Geschichte hineinversetzen können.(stimme überhaupt nicht zu) – 2 (stimme nicht zu) – 3 (neutral) – 4 (stimme zu) – 5 (stimme vollkommen zu)
Frage 7: Du experimentierst rhetorisch geschickt mit verschiedenen Genres und Stilrichtungen des Storytellings, um deine Geschichten interessanter zu gestalten.
(stimme überhaupt nicht zu) – 2 (stimme nicht zu) – 3 (neutral) – 4 (stimme zu) – 5 (stimme vollkommen zu)
Frage 8: Du erzählst Geschichten nicht nur verbal, sondern kannst sie auch visuell oder mit Hilfe von Körpersprache überzeugend präsentieren.
1stimme überhaupt nicht zu) – 2 (stimme nicht zu) – 3 (neutral) – 4 (stimme zu) – 5 (stimme vollkommen zu)
Frage 9: Du bist offen für Feedback und nutzt konstruktive Kritik, um motiviert deine Geschichten kontinuierlich zu verbessern.
(stimme überhaupt nicht zu) – 2 (stimme nicht zu) – 3 (neutral) – 4 (stimme zu) – 5 (stimme vollkommen zu)
Frage 10: Du fühlst dich inspiriert, Geschichten aus dem Leben anderer Menschen zu erzählen und kannst Empathie für unterschiedliche Perspektiven aufbringen.
(stimme überhaupt nicht zu) – 2 (stimme nicht zu) – 3 (neutral) – 4 (stimme zu) – 5 (stimme vollkommen zu)
Ergebnisse
Addiere die Punktzahlen für alle deine Antworten.
• 10 bis 20: Deine Storytelling-Fähigkeiten könnten noch entwickelt werden.
• 21 bis 30: Du hast ein gutes Verständnis für Storytelling, aber es gibt Raum für Wachstum.
• 31 bis 40: Du bist ein erfahrener Story Teller mit starken Fähigkeiten.
• 41 bis 50: Du bist ein hervorragender Story Teller und verstehst die Kunst des Geschichtenerzählens sehr gut.
7. Fazit Storytelling
Das Geschichtenerzählen ist ein kraftvolles soziales Werkzeug, das Bindungen schafft und Verständnis fördert. Gleichzeitig zeigt die Philosophie des Storytellings, wie unsere Suche nach Abenteuern und Bedeutung in Geschichten oft in der Realität enttäuscht wird.
Die Wirkung von Storytelling hängt stark von unserer individuellen Sichtweise und unseren Werten ab. Im Kontext des Life Coachings helfen Geschichten, persönliche Ziele zu definieren und die Selbstverwirklichung zu gestalten.
© Timo ten Barge 29.09.23
Hallo Timo,
ein wirklich interessanter Blog! Vor allem den philosophischen Teil fand ich gut. Ich habe eventuell eine schwierige Frage.
Was würde denn für ein Leben als Abenteuer sprechen? Welche Bedingungen müsste es geben? Besonders, weil Sartre und die beiden niederländischen Philosophen so überzeugt davon sind, dass es eine Illusion ist, davon auszugehen.
Liebe Grüße, Angela
Hallo Angela,
die Frage, was für ein Leben als Abenteuer sprechen würde, ist nicht einfach. Die Frage was den Bedingungen angeht ist etwas einfacher zu beantworten.
Vielleicht muss man dann die Perspektive auf die Zeit ändern. Die Griechen zum Beispiel betrachteten die Zeit als zyklisch. In einer zyklischen Zeitvorstellung wiederholen sich Ereignisse und Phasen in regelmäßigen Abständen. Es gibt keinen klaren Anfang oder Ende, sondern einen kontinuierlichen Kreislauf.
Dies steht im Gegensatz zur linearen Zeit, in der Ereignisse aufeinander aufbauen und eine fortschreitende Richtung haben.
Viele Grüße, Timo
Hallo Timo,
was würde das dann praktisch für das Leben als Abenteuer bedeuten?
Liebe Grüße,
Angela
Hallo Angela,
die Vorstellung, dass das Leben in einer linearen Abfolge verläuft, bei der auf A zwangsläufig B und dann C folgt, kann in einer zyklischen Auffassung der Zeit in Frage gestellt werden.
In dieser Sichtweise wiederholen sich Abenteuer und Alltag in einem sich stetig wiederholenden Muster und die Zukunft ist weniger vorhersehbar. Das Leben kann dann als ein aufregendes Abenteuer wahrgenommen werden, in dem die Abenteuer und Alltagsmomente abwechseln und sich gegenseitig bereichern.
Liebe Grüße, Timo
Danke Timo,
diese Vorstellung finde ich viel schöner! Hast du ein konkretes Beispiel, warum deine Klienten, zum Thema Leben als Abenteuer, zu dir kommen? Bin gespannt:)
Viele Grüße,
Angela
Hallo Angela,
im Bereich des Life Coachings begegnen mir zahlreiche Klienten, die sich in einem Dilemma befinden. Einerseits wollen sie ihr „klassisches“ abenteuerliches Leben fortsetzen, andererseits stellen sie sich die Frage, ob der Zeitpunkt gekommen ist, in eine neue Lebensphase einzutreten.
Dieses Dilemma wird besonders deutlich, wenn der Wunsch nach Familiengründung aufkommt und die Überlegung besteht, einen Teil der bisherigen Unabhängigkeit und Freiheit aufzugeben, um das Leben nach anderen Werten auszurichten.
Schöne Grüße, Timo