Der Wiener Psychotherapeut Raphael Bonelli unterstreicht, dass Perfektionisten oft darunter leiden, unerreichbare Ziele zu verfolgen.
Er legt besonderen Wert auf die Unterscheidung zwischen ungesundem Perfektionismus, der zu übermäßigem Druck und psychischem Leid führen kann, und gesundem Perfektionismus, der zur Selbstverbesserung beitragen kann. Bonelli ist beruflich vorwiegend mit ungesundem Perfektionismus konfrontiert.
Perfektionismusmuster erkennen
Im Life Coaching ist es auch entscheidend, die Unterschiede zwischen gesundem und ungesundem Perfektionismus zu erkennen. Gesunder Perfektionismus kann motivieren und persönliches Wachstum fördern, während ungesunder Perfektionismus zu Ängsten und Risikovermeidung führt.
Im Life Coaching ist es wichtig, Klienten zu helfen, gesunde Perfektionismusmuster zu fördern und ungesunde zu überwinden.
Inhalt
Text: Perfektionismus: „bin ich ein gesunder Perfektionist?“
1. Dysfunktionaler Perfektionismus
2. Funktionaler Perfektionismus
3. Unterschied funktionaler/ dysfunktionaler Perfektionismus
4. Perfektionismus Test: bin ich ein gesunder Perfektionist?
5. Tipps – förderung von gesundem/ bewältigung von ungesundem Perfektionismus
1. Dysfunktionaler Perfektionismus
Der „ungesunde“ Perfektionist möchte Sicherheit haben und opfert dafür seine innere Freiheit. Fehlerfrei zu bleiben, ist das Wichtigste für ihn und so entsteht der ständige Druck, sich selbst und anderen genug zu sein, was folgen hat für die Kommunikation.
Verbunden mit diesem Zwang nach Fehlerfreiheit ist oft der Drang nach Anerkennung: das Gefühl, wahrgenommen, wertgeschätzt und sozial akzeptiert zu werden.
2. Funktionaler Perfektionismus
In gesundem Perfektionismus wird Perfektion als Motivation zur persönlichen Verbesserung genutzt, nicht als Quelle von Angst und Stress. Die Frage, ob perfektionistisch sein gesund oder ungesund ist, wird nicht immer direkt ersichtlich. Ein Zitat von David Fincher verdeutlicht das:
„You’re looking for stuff to be imperfect in exactly the right way. So what’s important is to be able to articulate what perfect would be, and then avoid it at all costs.“
Die Kunst der bewussten Unvollkommenheit
In seinen Worten betont er, dass es darum geht, „Unvollkommenheit auf die richtige Art und Weise“ im narrativen Kontext zu finden. Es verdeutlicht, dass perfektionistisch sein nicht zwangsläufig das Streben nach vollkommener Fehlerfreiheit bedeutet. Stattdessen geht es darum, ein klares Verständnis davon zu haben, was „perfekt“ bedeuten würde, um es dann bewusst zu vermeiden.
Dies kann als eine Art von Perfektionismus betrachtet werden, der auf eine präzise Umsetzung der künstlerischen Vision abzielt, ohne unbedingt unter dem Druck zu leiden, diese Perfektion zu erreichen.
3. Perfektionismus – Unterschiede
Das Bestreben nach Exzellenz kann in gesunde und ungesunde Formen unterteilt werden.
Funktionaler Perfektionismus:
- Zielstrebigkeit: Dies bezieht sich auf den gesunden Wunsch, höchste Maßstäbe zu setzen und sich selbst herauszufordern, um Ziele zu erreichen.
- Motivation: Diese Menschen legen hohe Ansprüche an sich selbst, um ihre Leistung zu steigern und sich selbst zu inspirieren.
- Anpassungsfähigkeit: Sie sind in der Lage, mit Rückschlägen und Fehlern umzugehen, ohne sich übermäßig selbst zu kritisieren. Fehler werden als Chancen zur Verbesserung betrachtet.
Dysfunktionaler Perfektionismus:
- Übertriebene Standards: bezieht sich auf übertriebene, unrealistische Standards, die kaum erfüllbar sind und zu chronischem Stress führen.
- Selbstkritik: ständig selbstkritisch und oft intensive Angst und Furcht vor dem Versagen.
- Vermeidung von Aufgaben: Die Angst vor dem Versagen kann dazu führen, dass sie Aufgaben und Herausforderungen vermeiden, um die Möglichkeit von Fehlern zu minimieren.
4. Test: bin ich ein gesunder Perfektionist?
Exzellenzstreben kann in gesunder und ungesunder Form auftreten und unterschiedliche Auswirkungen auf das Leben haben. Der Test umfasst 10 Fragen und hilft mir dabei, festzustellen, inwieweit ich Anzeichen von gesundem oder ungesundem Perfektionismus aufweise.
Frage 1: Welchen Stellenwert haben hohe Standards und Ziele in meinem Leben?
a) Ich setze mir hohe Standards und Ziele, um mich selbst zu motivieren und zu verbessern. (Gesundes Streben – Kategorie: Zielorientiertheit und Motivation)
b) Hohe Standards und Ziele führen bei mir oft zu übermäßiger Selbstkritik und Stress. (Ungesundes Streben – Kategorie: Übertriebene Standards und Selbstkritik)
Frage 2: Wie reagiere ich auf Fehler, die ich in meiner Arbeit oder meinen Projekten gemacht habe?
a) Fehler sehe ich als Gelegenheit zur Weiterentwicklung und versuche, aus ihnen zu lernen. (Gesundes Streben – Kategorie: Flexibilität)
b) Fehler vermeide ich um jeden Preis, da sie meine Selbstkritik auslösen. (Ungesundes Streben – Kategorie: Fehlervermeidung und Selbstkritik)
Frage 3: Wie fühle ich mich, wenn ich meine künstlerischen oder kreativen Projekte abschließe?
a) Ich bin zufrieden, wenn meine künstlerischen Projekte mein Bestes widerspiegeln. (Gesundes Streben – Kategorie: Künstlerische Perfektion)
b) Ich bin oft unzufrieden mit meinen kreativen Projekten und fühle mich, als hätten sie nie meine hohen Standards erreicht. ( Ungesundes Streben- Kategorie: Übertriebene Standards)
Frage 4: Wie gehe ich mit Aufgaben und Projekten um, die nicht nach meinen Vorstellungen verlaufen?
a) Ich finde alternative Lösungen und passe mich flexibel an, wenn Dinge nicht wie geplant laufen. ( Gesundes Streben- Kategorie: Flexibilität)
b) Wenn Dinge nicht nach meinen Vorstellungen verlaufen, führt das oft zu Frustration und dem Wunsch, die Aufgaben zu vermeiden. (Ungesundes Streben – Kategorie: Frustration und Aufgabenvermeidung)
Frage 5: Wie reagiere ich auf Lob und Anerkennung von anderen?
a) Lob und Anerkennung motivieren mich und geben mir Selbstvertrauen. (Gesundes Streben – Kategorie: Motivation)
b) Lob und Anerkennung führen bei mir oft zu Zweifeln und dem Gefühl, dass ich nicht gut genug bin. ( Ungesundes Streben- Kategorie: Selbstkritik)
Frage 6: Wie gehe ich mit der Planung von Aufgaben und Projekten um?
a) Ich plane realistisch und setze klare Ziele, die ich erreichen kann. ( Gesundes Streben- Kategorie: Zielorientiertheit)
b) Meine Pläne sind oft zu ehrgeizig und unrealistisch. (Ungesundes Streben – Kategorie: Übertriebene Standards)
Frage 7: Wie reagiere ich auf Rückschläge in meinen Bemühungen?
a) Rückschläge motivieren mich, härter zu arbeiten und meine Ziele zu verfolgen. ( Gesundes Streben- Kategorie: Motivation)
b) Rückschläge führen bei mir oft zu Entmutigung und dem Vermeiden ähnlicher Aufgaben. ( Ungesundes Streben- Kategorie: Aufgabenvermeidung)
Frage 8: Wie beurteile ich mich selbst und meine Leistungen?
a) Ich habe realistische Erwartungen an mich selbst und bin zufrieden mit dem, was ich erreiche. (Gesundes Streben – Kategorie: Selbstzufriedenheit)
b) Ich bin oft selbstkritisch und sehe meine Leistungen als unzureichend an. ( Ungesundes Streben- Kategorie: Selbstkritik)
Frage 9: Wie bewertest du deine Fähigkeit, hohe Standards in deiner Arbeit oder Projekten zu erfüllen?
a) Ich bin zuversichtlich, dass ich in der Lage bin, hohe Standards zu erfüllen, und sehe dies als Ansporn für meine Leistung an. (Gesundes Streben – Kategorie: Selbstvertrauen)
b) Hohe Standards führen oft dazu, dass ich mich überfordert und gestresst fühle. (Ungesundes Streben – Kategorie: Überforderung und Stress)
Frage 10: Wie reagierst du auf Kritik oder negatives Feedback von anderen?
a) Kritik oder negatives Feedback sehe ich als konstruktive Rückmeldung, die mir hilft, mich zu verbessern. ( Gesundes Streben- Kategorie: Lernbereitschaft)
b) Kritik oder negatives Feedback lösen bei mir oft defensive Reaktionen oder tiefe Selbstzweifel aus. ( Ungesundes Streben- Kategorie: Selbstzweifel und Abwehrmechanismen)
Auswertung:
Zähle deine Antworten aus der Kategorie „Gesunder Perfektionismus“ und aus der Kategorie „Ungesunder Perfektionismus“.
Gesunder Perfektionismus
Eine höhere Anzahl von Antworten in der Kategorie „Gesunder Perfektionismus“ deutet auf eine gesunde Ausprägung des Perfektionismus hin, die von Zielorientiertheit, Motivation, künstlerischer Perfektion und Flexibilität geprägt ist.
Ungesunder Perfektionismus
Eine höhere Anzahl von Antworten in der Kategorie „Ungesunder Perfektionismus“ deutet auf Anzeichen eines ungesunden Perfektionismus hin, der durch übertriebene Standards, Selbstkritik, Aufgabenvermeidung und Fehlervermeidung gekennzeichnet ist.
5. Tipps
Gesunder Perfektionismus kann motivierend und förderlich für persönliches Wachstum sein, während ungesunder Perfektionismus zu chronischem Stress und Angst führen kann. Hier sind 10 Tipps, darunter 5 Tipps zur Förderung gesunden Perfektionismus und 5 Tipps zur Bewältigung ungesunden Perfektionismus.
Förderung von gesundem Perfektionismus:
- Kreative Widersprüche akzeptieren: Nutze kognitive Dissonanz als kreatives Treibmittel. Oft führt der Zusammenprall unterschiedlicher Ideen zu einzigartigen und fesselnden Ergebnissen.
- Das Beste aus dir selbst holen: Konzentriere dich darauf, kontinuierlich dein Bestes zu geben, ohne den ständigen Druck, perfekt oder cool zu sein.
- Überwinde den Wunsch nach Bestätigung: Lerne, unabhängig von äußerer Anerkennung oder Kritik an deiner Kunst zu arbeiten. David Fincher blieb seinen eigenen Standards treu, unabhängig von Kritiken
- Klare Lebensziele setzen: Setze realistische Ziele und Prioritäten, die zu deinen Werten und Interessen passen. Beispiel: Wenn du in deiner Karriere vorankommen möchtest, setze dir messbare, erreichbare Lebensziele und arbeite in kleinen Schritten darauf hin.
- Selbstreflexion und Achtsamkeit: Nimm dir Zeit für Selbstreflexion und Achtsamkeit, um deine Gedanken und Gefühle zu verstehen. Führe ein Tagebuch, in dem du deine Gedanken und Emotionen festhältst und reflektierst, wie du mit Perfektionismus umgehst.
Bewältigung von ungesundem Perfektionismus:
- Identifiziere unrealistische Standards: Achte darauf, ob du extrem hohe und unerreichbare Standards für dich selbst setzt. Erkenne, dass Perfektionismus in Maßen gesünder ist.
Zum Beispiel: Wenn du immer denkst, dass du in allem hervorragend sein musst, ist es an der Zeit, deine Standards zu überdenken. - Selbstmitgefühl entwickeln: Sei freundlich und nachsichtig mit dir selbst.
Zum Beispiel, wenn du eine Aufgabe nicht perfekt erledigst, erinnere dich daran, dass niemand perfekt ist, und sei sanft zu dir selbst. - Überdenke den Sinn von Perfektion: Frage dich, ob ständiges Streben nach Perfektion wirklich notwendig ist und ob es dir langfristig Glück und Erfüllung bringt.
Zum Beispiel: Du könntest feststellen, dass das Loslassen des Wunsches nach Perfektion zu mehr Zufriedenheit und weniger Stress führt. - Reframing praktizieren: Ändere deine Denkmuster, indem du negative Selbstgespräche in positive umwandelst. Anstatt zu denken „Ich muss immer perfekt sein,“ sage dir, „Ich werde mein Bestes geben, aber niemand ist fehlerlos.“
- Schwarz Weiß denken vermeiden: Es steckt in jedem von uns gesundes und ungesundes Leistungsstreben es gibt, kein ‚entweder /oder‘, wenn es um gesundes Leistungsstreben oder ungesunder Perfektionismus geht. Es ist ein Kontinuum von normal zu neurotisch. Wenn Angst und Stress das Denken und Handeln beherrschen, ist es Zeit einem Psychologen oder Lifecoach aufzusuchen.
© Timo ten Barge [05.12.2016]
HALLO TIMO.
das ist ja mal ein super Thema PERFEKTIONISMUS. Warum eigentlich nach Perfektionismus streben? Da schließe ich mich mehr der philosophischen Linie an, Perfektionismus macht unfrei!’Perfektionismus ist wie ein Korsett.
Es gibt nicht die perfekte Arbeit, das perfekte Leben, die perfekte Beziehung etc.. Meiner Meinung nach liegt der wahre Charme im IMPERFEKTEN, authentisch sollte man sein.
Gerade im Arbeitsumfeld wäre der Idealfall, aus seinem Hobby einen Beruf zu machen. Wenn das nicht realisierbar ist, dann sollte man authentisch bleiben. Die eigenen Träume nicht vergessen, Perfektionismus blockiert das! Und auch mit Mut zum Risiko leben! Es einfach tun, nicht planen, auch Scheitern riskieren.Was zählt, ist es probiert zu haben.
Manchmal wird man total positiv überrascht. Das kann man nur erfahren, wenn man mutig ins Wasser springt. Wir sollten uns mal frei machen von dem Gedanken,immer ANDEREN zu genügen. WIr sind wichtig, unsere Wünsche und Ziele und Träume! Nicht die Aussenwirkung!
Ich denke , das ist ein typisch deutsches Problem, in erster Linie. Hier können wir viel von der skandinavischen Gelassenheit lernen. Sie sind nicht weniger effektiv, im Gegenteil, sehr kreativ, aber sie leben ihre Träume und lassen diesen Raum. Das wäre doch mal einen Gedanken wert, was denkst Du?
Herzliche Grüße, Annika
Hi Annika,
danke für den sehr schönen Kommentar!
‚Der wahre Charme liegt im Imperfekten‘, da stimme ich dir völlig zu.
Die skandinavische Gelassenheit kenne ich leider noch nicht, nur die südländische:)
Liebe Grüße, Timo
HEY TIMO,
ja, es stimmt, man bringt das immer mehr mit der südländischen Mentalität in Verbindung. Da ich diese sehr gut kenne, aber auch skandinavische Wurzeln habe, sehe ich hier einen großen Unterschied. -Sicher, hier soll kein Vorurteil bedient werden… , aber in südlichen Ländern ist die Aussenwirkung, die Show doch sehr entscheidend.
In Skandinavien ist es eine Lebensart, da liegt der Unterschied und die Chance. Nicht perfekt zu sein, hat Charme und öffnet Türen und Herzen…
Immer DU SELBST SEIN ist ein grosses Lebensthema, da dürfen auch Imperfektheiten sein, man muss sich selbst treu bleiben! Das halte ich für ganz essentiell!!
Ganz liebe Grüße, ANNIKA
Hi Annika,
da kannst du recht haben, da ist die Show wichtig. Allerdings glaube ich, dass auch das bewusste Antizipieren auf eine Außenwirkung mit Leichtigkeit dargestellt werden kann, zum Beispiel mit ein wenig Selbstironie.
Die klassische skandinavische Lebensart ist vielleicht etwas zurückhaltender, weniger auf Show bedacht. Ich vermute, dass die etwas femininer geprägte skandinavische Kultur dir mehr zusagt;-)
Viele Grüße, Timo
Hi Timo,
genau, Du hast meine Kern aussage nochmal unterstrichen. Zurückhaltung, ohne Show. Das bedeutet ja nicht, dass man kein Temperament hat. Nur die Authentizität ist entscheidend. Selbstironie sollte man immer haben, sie hilft, viele Situationen zu entschärfen, aber sie sollte nicht im Vordergrund stehen. Das hast Du sehr treffend und schön formuliert, sicher ist diese skandinavische Art eine FEMININERE ART. Mir persönlich sagt das sehr zu. Man zeigt sein wahres Ich, aber immer mit einer gewissen Reserviertheit. Erst wenn Vertrauen gefasst ist, zeigt man mehr von sich, und zwar sein komplettes Ich.
Danke Dir für Deine Anregungen,freue mich schon auf neue BLOGS. Ich nehme stets sehr viele Denkanstöße daraus mit und kann mal ganz andere Perspektiven kennenlernen, die man selbst oft nicht sieht, weil man zu eingefahren ist.
Liebe Grüße, Annika
Hi Annika,
danke! Freut mich das dir meine Blogs gefallen.
Viele Grüße, Timo